#053kids

Toby Binder

28. Februar 2022

Der Fotograf Toby Binder zeigt Jugendliche in Duisburg-Hochfeld, einem sozialen Brennpunkt.
In einer Stadt wie Duisburg – zu Zeiten der Kohleförderung eine Industriehochburg im Westen Deutschlands – gibt es Gegenden, in denen aktuell jeder zweite Jugendliche von Armut betroffen ist. Der Fotograf Toby Binder widmet sich seit Jahren den Lebenswelten von Teenagern, die am unteren Ende der Einkommensskala leben. Im Rahmen seiner Serie #053kids dokumentiert er ihre Umgebung und ihren Zeitvertreib.

LFI: Du hast dich bereits in früheren Projekten intensiv mit der Lebenswelt von Jugendlichen befasst: Mit dem Projekt 'Wee Muckers – Youth of Belfast', das 2019 als Buch erschien, ging es um Jugendliche in Belfast zwischen Friedensabkommen und Brexit. Deine Serie The 'New Law & Child Labour in Bolivia' zeigt Kinderarbeit in Zentral-Südamerika. Woher rührt dein Interesse daran, wie Teenager aufwachsen?
Toby Binder: Zum einen natürlich, weil die Jugendlichen an einem oft entscheidenden Abzweig ihres Lebens stehen, es kann viel in alle Richtungen passieren. Gleichzeitig sind sie oft unterrepräsentiert in den Entscheidungsprozessen, die ihren Alltag, aber eben auch ihre Chancen im Leben betreffen. Vor allem in sozial benachteiligten Milieus scheint der Weg oft vorgezeichnet; es ist schwer, dort herauszukommen. Das ist absolut inakzeptabel.

Was berührt dich daran am meisten?
Ich habe während all der Projekte, sei es in Bolivien, in Belfast oder jetzt auch in Duisburg, so viele Jugendliche kennengelernt, die Potenzial haben und ein Recht darauf, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Aber fast immer leiden sie unter Stigmatisierung, Ausgrenzung und Benachteiligung. Wer in seiner sozialen Blase lebt, kann sich tatsächlich nicht vorstellen, wie schwer es ist, in Stadtteilen wie Hochfeld groß zu werden, wie viele Steine einem im Weg liegen und wie ungleich das Aufwachsen auch in einem reichen Land wie Deutschland sein kann.

Wie bist auf Duisburg-Hochfeld als Gegenstand deiner Sozialstudien gekommen?
In Gegenden wie dieser lebt mehr als jeder zweite Minderjährige in Armut. Während der Pandemie litten vor allem Jugendliche aus sozial benachteiligten Vierteln unter den Abschottungsmaßnahmen. Hochfeld steht für mich stellvertretend für eine auseinanderdriftende Gesellschaft. Das reichste Prozent der Einwohner in Deutschland verfügt über 30 Prozent des Vermögens, während in Hochfeld die Hälfte der Kinder in Armut aufwächst. 93 Prozent der unter 18-Jährigen haben einen Migrationshintergrund, und obwohl viele hier geboren wurden, den lokalen Dialekt sprechen und die Heimat der Eltern nur aus dem Urlaub kennen, sehen sie sich selbst nicht als Deutsche, fühlen sich weder akzeptiert noch integriert.

Im Rahmen deiner Serie '#053kids' beleuchtest du die Frage nach Identität und wodurch sie entsteht. Inwieweit wird es da politisch?
Neben den vielen Antifa-Graffiti sieht man erstaunlich viele Deutschlandfahnen wehen – entweder als Zeichen gewollter Integration oder als Abgrenzung der letzten verbliebenen ursprünglichen Hochfelder: jene alten Leute, die sich täglich an den Kiosken aufhalten und mit dem Niedergang des Stadtteils ebenso zu kämpfen haben wie die jungen Leute mit der Perspektivlosigkeit im Viertel. Hochfeld, das eingeklemmt zwischen Innenstadt, Rotlichtviertel und Industrie am Rhein liegt, hatte schon immer mit einer hohen Kriminalitätsrate zu kämpfen: Rockerbanden, arabische Clans, mafiöse Strukturen kontrollieren Drogenhandel und Prostitution, es kommt häufig zu Gewalttaten auf offener Straße. Für die Jugendlichen ist es schwer, hier aufzuwachsen, viele wollen raus aus dem Stadtteil, kämpfen hart um Ausbildungsplätze, Aufstiegschancen und Anerkennung. Jugendhäuser, Lehrer und Streetworker unterstützen sie dabei. Gleichzeitig haben sie stets den vermeintlichen Glamour und das schnelle Geld eines Gangsterlebens vor Augen. (Interview: Carla Susanne Erdmann)

Alle Bilder auf dieser Seite: © Toby Binder
Equipment: Leica Q2, Summilux 1:1.7/28 Asph.


Erfahren Sie mehr über Toby Binders Fotoprojekt im LFI-Magazin 02/22.
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© Toby Binder
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Geboren 1977 in Esslingen. Er studierte Grafikdesign mit Schwerpunkt Fotografie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Sein Fokus liegt auf Studien sozial benachteiligter Milieus in Deutschland und im Ausland. Er war für den Nannen Preis 2017 nominiert und erhielt u. a. den Felix Schoeller Photo Award 2019. Seine Arbeiten wurden u. a. im Stern, im Guardian, in der Washington Post, in Le Monde und der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht. Im März 2019 erschien sein Bildband Wee Muckers – Youth of Belfast im Kehrer Verlag. Mehr

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