Frauen an die Front

Lena Mucha

10. Oktober 2016

Manchmal, sagt Seda, stelle sie sich vor, sie sei an der Front, krieche durch die Schützengräben und richte ihre Waffe in Richtung Grenze – und ja, sie würde auch kämpfen, wenn nötig: „Ich bin bereit für mein Land zu sterben“, sagt sie leise, beinahe schüchtern.
Manchmal, sagt Seda, stelle sie sich vor, sie sei an der Front, krieche durch die Schützengräben und richte ihre Waffe in Richtung Grenze – und ja, sie würde auch kämpfen, wenn nötig: „Ich bin bereit für mein Land zu sterben“, sagt sie leise, beinahe schüchtern.

Zusammen mit einer Handvoll 14- und 15-jähriger Mädchen zählt Seda zu den ersten, die für die Militärschule in Stepanakert zugelassen wurden – eine Seltenheit in einer konservativ geprägten Region, in der von Frauen erwartet wird, dass sie zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern. Stepanakert ist die Hauptstadt der selbsternannten Republik Bergkarabach, die sich in den 1990er-Jahren von Aserbaidschan losgesagt hat.

Im benachbarten Armenien studieren bereits rund 20 junge Frauen an der Militärakademie von Jerewan, hier werden Offiziere für die Armeen von Armenien und Bergkarabach ausgebildet. Beide Armeen greifen gemeinsam auf Ressourcen und Soldaten zurück.

Die Zulassung von Frauen für den Militärdienst sei, so sagen offizielle Regierungsvertreter, ein längst überfälliger Schritt gewesen, um die Armee „inklusiver“ zu gestalten. Demografie spielt dabei auch eine Rolle – mehr Armenier denn je verlassen ihr Land auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Chancen und Eltern entscheiden sich zusehends für weniger Kinder. Einige an der Militärakademie sehen das jedoch anders: „Frauen sollten nicht in der Armee sein, das ist nicht ihre Rolle“, sagt ein Sportlehrer. „Sie sind einfach keine Männer.“

Über solche Einwände setzen sich die weiblichen Kadetten jedoch hinweg. Sie sind sich sicher, dass auch sie eines Tages an der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan eingesetzt werden – wie ihre männlichen Kollegen. Seda hätte keine Angst, auf Menschen zu schießen und den Gegner zu töten, sagt sie. Und dann fügt sie noch hinzu: „Ich schieße besser als die meisten Jungs“, und lacht. Naomi Conrad

Lena Mucha+-

Die freiberufliche Fotografin Lena Mucha (*1983) lebt in Berlin. 2011 machte sie in Köln ihren Masterabschluss in Politikwissenschaften und Sozialanthropologie. Ihre Fotoreportagen brachten ihr unter anderem das „Reporters in the Field“-Stipendium ein. 2016 war sie Stipendiatin für Magnum-Workshops mit Patrick Zachmann und David Alan Harvey. Ihre Arbeiten erschienen u. a. im Burn Magazin, in Vice Kolumbien, in der Huffington Post, im Stern und in Lensculture. Mehr

 

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