Das Missverständnis

Giuilio Rimondi

2. März 2016

Nach mehreren Jahren im Ausland kehrt Fotograf Giulio Rimondi zurück nach Italien. Doch wie sieht seine Heimat heute aus? Rimondi macht sich auf die Suche nach seiner Jugendliebe und findet sich selbst. Seine Serie mit dem Titel Italiana soll nun auch als Buch erscheinen.
Nach mehreren Jahren im Ausland kehrt Fotograf Giulio Rimondi zurück nach Italien. Doch wie sieht seine Heimat heute aus? Rimondi macht sich auf die Suche nach seiner Jugendliebe und findet sich selbst. „Am Ende wurde mir bewusst, dass ich dabei das Patchwork-Porträt eines Landes gezeichnet hatte.“

Die Serie mit dem Titel Italiana soll nun auch als Buch erscheinen. Um die Publikation zu ermöglichen, hat Giulio Rimondi eine Crowdfundingkampagne gestartet. Weitere Informationen hierzu finden Sie unter: www.kickstarter.com. Hinter diesem Bild verbirgt sich eine besondere Episode aus der Reise durch sein Heimatland:

„Als ich in Neapel ankomme, treffe ich mich mit Carmine. Er erzählt mir dass einer seiner Freunde in La Vele rumhängt, das berüchtigste Viertel der Stadt. Überraschend schnell haben wir ein Treffen für den nächsten Tag arrangiert. Ich bin etwas nervös. Ich soll seinen Freund Valerio um 4 Uhr vor Vela Rossa treffen. Ein verfallenes Gebäude unter der Kontrolle der Camorra und das Zentrum des neapolitanischen Verbrechens. Ich bin pünktlich, aber keine Spur von Valerio. Ich warte eine Stunde an eine Laterne gelehnt und versuche so gefährlich auszusehen wie ich kann, um die Kids davon abzuhalten, mit Steinen zu schmeißen.

Als Valerio aufkreuzt, rutscht mir das Herz in die Hose. Wir begeben uns ins Vella Rossa und er fängt ein Gespräch mit einem Typen an und lässt mich links liegen. Ich schaue mich um, dann entscheide ich mich, den mit Spritzen und Blutflecken bedeckten Korridor zu erkunden. Ein Drogenabhängiger liegt in einer Ecke – sein Gesicht gleicht dem eines Toten. Ich will gerade umkehren, da taucht plötzlich ein Typ hinter einer der Säulen auf. Er ruft etwas auf Neapolitanisch und kommt auf mich zu. Es kommt zum Kampf. Als er ein Messer zieht, rufe ich: ‚Valerio komm her, verdammt nochmal! Lauf!‘

Der Fremde macht ein komisches Gesicht und lässt das Messer verschwinden. Dann öffnet er seine Arme und umarmt mich. Er küsst mich zwei Mal und schimpft ganz sanft mit mir. ‚Nun komm schon, du hättest mir gleich sagen sollen, dass du zu Valerio gehörst. Lass mich sehen, was ich kaputt gemacht habe’, sagt er und greift nach meinem zerrissenen Shirt. ‚Mann, du hättest mir echt sagen sollen, dass du ein Bro bist! Bitte sehr!‘ sagt er und zieht sein vollgeschwitztes Shirt aus – dabei kommt sein kolossaler Bauch zum Vorschein. Ich sage ihm, dass das kein Problem sei und ich froh sei, dass wir das Missverständnis aus dem Weg geräumt hätten. Aber er insistiert: ‚Das ist original, ein Ugo Bosse, nimm es!‘ Also streife ich es mir über und er zieht mein Shirt an, dass nicht einmal die Hälfte seines Bauches bedeckt, während mir mein neues Shirt bis zu den Knien reicht. Dann gehen wir zusammen wie alte Freunde durch den Korridor zu Valerio, der immer noch ins Gespräch vertieft ist und von alldem nichts mitbekommen hat.“

Giuilio Rimondi+-

Rimondi, 1984 in Italien geboren, studierte Literatur und Kunstgeschichte. In seinen Fotoreportagen konzentriert er sich vor allem auf soziale Phänomene und Probleme in der Mittelmeerregion. Seine Arbeiten als Fotojournalist wurden u. a. in New York Times-Lens, Le Monde, Repubblica und weiteren Magazinen Europas und des Nahen Ostens veröffentlicht. Mehr

 

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