Nachruf: Tony Vaccaro

23. Januar 2023

Nur acht Tage nach seinem 100. Geburtstag ist der amerikanische Fotograf in New York verstorben.
Schokolade, Rotwein, Entschlossenheit: So knapp begründete Tony Vaccaro wiederholt seine Langlebigkeit. Die Feier und begleitende Ausstellung zu seinem 100. Geburtstag hat er noch in vollen Zügen genießen können, doch am 28. Dezember hat sich der Jahrhundertfotograf von der Welt verabschiedet.

Geboren wurde Michelantonio Celestino Onofrio Vaccaro am 20. Dezember 1922 in Greensburg, Pennsylvania, allerdings verbrachte er die ersten Jahre seines Lebens in dem italienischen Dorf Bonefro, nachdem seine Familie aus Furcht vor der Mafia die USA verlassen hatte. Früh verlor er seine Eltern und wurde von Verwandten aufgezogen. Mit einer Boxkamera entdeckte er bereits als Zehnjähriger seine Leidenschaft für die Fotografie. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kehrte Vaccaro in die USA zurück. In New Rochelle, N.Y., war er Mitglied des Kameraclubs seiner High School, und mit Bertram Lewis fand er einen Mentor, der für eine fundierte fotografische Ausbildung sorgte. 1943 wurde er eingezogen und von der US-Armee 1944 nach Europa geschickt. Fest entschlossen, den Krieg zu fotografieren, hatte er seine tragbare 35-mm-Argus C3 von Anfang an dabei. Im Juni 1944 nahm er als Infanterist an der Landung der Alliierten in der Normandie teil, und in den folgenden 272 Tagen kämpfte und fotografierte er an der Kriegsfront. Doch Vaccaro ist weit mehr als ein Kriegsfotograf: Nach dem Ende des Krieges blieb er in Deutschland, um den Wiederaufbau des Landes für die Zeitung Stars and Stripes zu fotografieren. Die Aufnahmen, mit denen er 1949 in die USA zurückkehrte, geben ein bewegendes Porträt sowohl des Krieges als auch der Folgezeit in einem Europa voller Not und Hoffnung.

In den USA begann ein neues Kapitel seiner langen Karriere. Als Werbefotograf arbeitete er ab den 1950er-Jahren für fast alle großen Zeitschriften, darunter Flair, Life, Look, Harper’s Bazaar, Quick, Newsweek, Town and Country, Venture. Die erschütternden Bilder des Grauens, die sich in sein Gedächtnis eingebrannt hatten, versuchte er zu ersetzen, indem er sich auf die Pracht des Lebens konzentrierte und die Schönheit der Mode sowie Künstler, Schriftsteller, Filmstars und andere Celebrities fotografierte. Nun auch bevorzugt mit Leica-Kameras. Er wurde zu einem der gefragtesten Fotografen seiner Zeit und fotografierte unzählige Prominente, von Enzo Ferrari und Sophia Loren bis zu Pablo Picasso, Peggy Guggenheim und Frank Lloyd Wright. Von 1970 bis 1980 lehrte er Fotografie an der Cooper Union. Nach seinem beruflichen Rückzug wurde er mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, sein Werk in Büchern und Filmen präsentiert, und er war in zahlreichen Ausstellungen vertreten. So zeigte zuletzt das Museum für Photographie in Braunschweig von Oktober bis Dezember 2022 die Ausstellung Tony Vaccaro 100!.

Im November musste er sich einer Operation unterziehen, doch er erholte sich und nahm mit Vergnügen an der Pop-up-Ausstellung Tony Vaccaro: The Centennial Exhibit in New York City teil, organisiert durch die ihn exklusiv vertretende Monroe Gallery. Die Stadt New York erklärte den 20. Dezember 2022 offiziell zum „Tony Vaccaro Day“, und er wurde am Abend von seinen Freunden mit einer Überraschungsparty in seinem italienischen Lieblingsrestaurant gefeiert. Nur acht Tage später ist der Jahrhundertfotograf friedlich im Kreis seiner Familie verstorben. 
Ulrich Rüter
Alle Bilder auf dieser Seite: © Tony Vaccaro, Courtesy Monroe Gallery
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