Nachruf: Letizia Battaglia

20. April 2022

Mit 87 Jahren ist die italienische Fotoreporterin in Palermo gestorben.
Fotografie kann die Welt nicht verändern, aber sie kann eine Waffe im Kampf gegen brutale Ungerechtigkeit und Kriminalität sein. Aufmerksam machen, anklagen: Mit ihrer Kamera war Letizia Battaglia beständige Augenzeugin im Kampf gegen die sizilianische Mafia, viele ihrer schwarzweißen Bilder bleiben denkwürdige Zeugnisse der Zeitgeschichte.

Oft war die Fotografin als Erste am Tatort: Sie hörte in ihrer Dunkelkammer den Polizeifunk ab, war daher über die Morde und Exekutionen der Cosa Nostra in ihrer Nähe informiert. Sie machte ihre Aufnahmen oft noch, bevor die Carabinieri an den Tatorten eintrafen. Die Fotografien sind direkt, präzise, schonungslos, zeigen die erbarmungslose Brutalität, das Leid der Hinterbliebenen und Familien. Hunderte Opfer hat sie seit den 1970er-Jahren gesehen, darunter Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Beamte, Politiker, Gewerkschafter, Geschäftsleute, aber auch immer wieder Journalisten, die sich dem System der Mafia entgegenstellten. Battaglia versuchte, furchtlos zu bleiben, durchzuhalten. Mit diesem Alltag wollte sie sich nicht abfinden. Sie blieb unbeugsame Zeugin.

Geboren wurde sie am 5. März 1935 in Palermo, wuchs bis zu ihrem achten Lebensjahr in Triest auf – die Rückkehr in die strengen, patriarchalen Strukturen Süditaliens beschrieb sie später als Schock. Bereits mit 16 Jahren heiratete sie, wurde Mutter dreier Töchter (darunter die heute ebenfalls als Fotografin erfolgreiche Shobha Battaglia). Mit Mitte 30 dann der Entschluss, ihr Leben radikal zu verändern: Durch ihre „Flucht“ nach Mailand wurde sie Journalistin und entdeckte die Fotografie. Nach ihrer Scheidung kehrte sie nach Palermo zurück, wurde Fotografin bei der Zeitung „L’Ora“, lebte in enger Arbeits- und Lebensbeziehung mit dem Fotografen Franco Zecchin. Sie wurde in den Folgejahren Zeugin und Chronistin der schlimmsten Mafiakämpfe unter den verschiedenen Clans der Cosa Nostra.

1992 beschloss sie – nach der Ermordung des Richters Giovanni Falcone durch die Corleonesi – nicht mehr an die Tatorte zu gehen. Zudem war „L’Ora“ eingestellt worden. Für einige Jahre war sie im Stadtrat Palermos tätig, war Abgeordnete der Anti-Mafia-Partei La Rete. Sie wurde kommunale Dezernentin für Lebensqualität und sorgte für die Umgestaltung der Stadt: Illegale Müllkippen verschwanden, eine Strandpromenade entstand, die historische Altstadt wurde wiederentdeckt. Darüber hinaus gründete sie einen eigenen Buchverlag, war Mitbegründerin einer feministischen Monatszeitschrift, setzte sich für Minderheiten und Strafgefangene ein. 2007 gründete sie in Palermo ein Zentrum für internationale Fotografie. Ihr Name blieb jedoch bis zum Schluss mit ihrem Engagement gegen die Mafia verbunden, sie gilt als die bedeutendste Bildjournalistin Italiens. Für ihre Arbeit wurde sie gefeiert, ausgezeichnet, in vielen Ausstellungen präsentiert. Die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) ehrte sie 2007 mit dem Dr. Erich Salomon-Preis (und einer Leica).

Das Monster der Mafia existiert noch heute, erscheint unausrottbar, auch diese Erfahrung musste die Fotografin resigniert nach vielen Jahren ihres Engagements machen – aber nicht zuletzt durch Battaglia ist das hässliche Gesicht des Verbrechens unübersehbar geworden, ein Wegschauen nicht möglich. Rund 600 000 Aufnahmen soll sie fotografiert haben, „ein Archiv des Bluts“, wie sie ihr Werk nannte. Ihr Werk ist jedoch weitaus vielschichtiger, sie fotografierte den Alltag ihrer Heimatstadt: spielende Kinder, zockende Männer, junge, nach Unabhängigkeit strebende Frauen genauso wie Prozessionen, das Straßenleben – immer mit genauem Blick für die gesellschaftlichen Verhältnisse.

Am letzten Mittwoch ist sie im Kreis ihrer Familie in Palermo mit 87 Jahren ihrer Krebserkrankung erlegen. (Ulrich Rüter)
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