Buch des Monats: The Petunia Carnage

Klaus Pichler

22. März 2022

Die beliebte Zierpflanze strahlt in Rot, Blau, Violett und Weiß – und vor ein paar Jahren sogar in Orange. Doch diese Farbe ist bei Petunien verboten! Eine wahre Geschichte.
Der Frühling kommt, die ersten Knospen sprießen, und der Gang zum Gartenmarkt lockt, um sich mit neuen Pflanzen und Sämereien einzudecken. Wie wäre es mit Petunien in Orange? Hinter dieser unscheinbaren Frage zeigt sich ein spannendes Kapitel der Gentechnik, das der österreichische Fotograf Klaus Pichler nun in seinem neuen Buch sehenswert aufdeckt. Der reißerische Titel Petuniengemetzel mag zunächst irritieren, aber hinter der Geschichte verbirgt sich ein kaum glaublicher Krimi, der ein anschauliches Beispiel für das Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher Forschung und ihrer kommerziellen Verwertung ist.

Alles begann 2015 durch eine zufällige Entdeckung des finnischen Pflanzenexperten Teemu Teeri: In einem Beet am Bahnhof von Helsinki bemerkte er orangefarbene Petunien. Was bei jedem anderen Passanten zu keiner größeren Überraschung geführt hätte, war für ihn von Bedeutung. Er nahm eine Probe und untersuchte sie im Labor. Die DNA-Tests ergaben, dass die Petunien transgenen Ursprungs waren. Und er erinnerte sich an ein umstrittenes Experiment in den 1990er-Jahren am Max-Planck-Institut in Köln, bei dem eine Gensequenz aus Mais in weiße Petunien eingeführt worden war, die zu Blüten in Orange führte. Die Pflanzen waren eigentlich strikt auf die Laborforschung beschränkt – wie kam es zum mysteriösen Auftauchen im öffentlichen Raum? Diese Frage wird ungeklärt bleiben, aber die Entdeckung Teeris hatte Folgen. Eine Untersuchung ergab, dass die orangefarbenen Petunien längst auf dem Markt verfügbar waren. Nun begann ein Rückruf mit internationalen Folgen: Das US-Landwirtschaftsministerium erklärte schließlich, dass alle transgenen Petuniensorten vernichtet werden müssen.

Die sogenannte „Petunienkrise“ sollte zum Verschwinden aller orangefarbenen Petuniensorten weltweit führen und verursachte allein in der EU einen Schaden von 30 Millionen Euro. Inzwischen ist klar, dass alle im Handel erhältlichen orangefarbenen Petuniensorten (bisher wurden 143 Stämme identifiziert) mit dem Kölner Experiment in den 1990ern in Verbindung stehen. „Im Nachhinein haben sich die Befürchtungen der Gegner bewahrheitet, dass gentechnisch veränderte Pflanzen unkontrolliert in den Verkehr gelangen könnten“, so Pichler. „Der Fall der orangefarbenen Petunien kann aber auch als der größte unbeabsichtigte Versuch angesehen werden, transgene Pflanzen weltweit freizusetzen – ohne dass in den folgenden mehr als 25 Jahren der Nachweis erbracht wurde, dass sie dominant oder gefährlich sind.“

Das wunderbar gestaltete Buch Pichlers ist erfreulicherweise alles andere als eine dröge Wissenschaftsdokumentation. Einige Jahre hat der Fotograf die Publikation vorbereitet, hat mit allen Akteuren zusammengearbeitet, Archivmaterial gesichtet und die Bildserie schließlich mit fiktiven Elementen ergänzt. So entstand eine vielschichtige, faszinierende, oft humorvolle Erzählung, die aber immer wieder auf die Grundfragen von Wissenschaft und deren ethische Grenzen zurückweist. Was zunächst so harmlos mit der Existenz von verbotenen Farben bestimmter Zierpflanzen beginnt, hat durchaus das Potenzial, zum Nachdenken über Natur, Biotechnologie und deren Folgen anzuregen. Und die Geschichte geht weiter, hat doch im letzten Jahr das US-Landwirtschaftsministerium aufgrund der Klage eines deutschen Blumenproduzenten der Zulassung transgener Petunien zugestimmt. Durchaus möglich, dass die orangefarbenen Petunien bald ein Comeback nicht nur im Bücherregal, sondern auch im Blumenbeet haben. (Ulrich Rüter)

Klaus Pichler: The Petunia Carnage
mit Texten von Klaus Pichler, gestaltet von Roland Hörmann,
108 Seiten, 90 Farbabb., 21,5 × 27,5 cm, Englisch, Selbstverlag (limitierte Auflage von 350 Exemplaren)

Alle Bilder auf dieser Seite: © Klaus Pichler
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© Maren Jeleff

Klaus Pichler wurde 1977 in Wien geboren. 1996 bis 2005 Studium der Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur in Wien. Seither arbeitet er als freier Fotograf. Diverse Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen. Seine meist im Selbstverlag produzierten Bücher beschäftigten sich auch in der Vergangenheit mit spannenden gesellschaftspolitischen und kulturellen Phänomenen, darunter This Will Change Your Life Forever (2017), Golden Days Before They End (Edition Patrick Frey 2016), Dust (2015), Just the Two of Us (2014) oder Fürs Leben gezeichnet (Fotohof Edition 2011). Er lebt in Wien. Mehr

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