JULIA BAIER: WAHRE TRÄUME
Wieso träume ich eigentlich immer von meiner Ursprungsfamilie? Es vergeht keine Nacht, in der nicht eines der Mitglieder meiner großen Familie – von jung bis alt – vorkommt. Heute träumte ich vom Walther-Opa. Wir besuchten ihn in seinem Zuhause, er lag mit seinem Rechner im Bett und chattete fleißig. Ich musste schmunzeln, da er an die 100 Jahre alt war.
Ich habe heute Nacht von einem Psychopathen geträumt, und der war ausgerechnet auch noch mein Freund. Er hatte verblüffende Ähnlichkeit mit dem Joker. Ich war in größter innerer Not, da ich beim besten Willen nicht wusste, wie ich ihn loswerden sollte. Es war einfach schrecklich. Denn ich hatte Angst er würde mich umbringen. Immerhin schmiedete ich schon Fluchtpläne.
Das Hammerbild, das mir durch die Lappen ging, weil ich im Traum meine Kamera vergessen hatte: sonnenbadende Menschen in Bikinis liegend auf flachen Felsen mit Mulden, davor glasklares Wasser, dahinter Gebäude einer Stadt und nochmal dahinter eine malerische Schweizer Gebirgslandschaft. Idyllischer geht’s nicht.
Kurz vor dem Aufwachen war M. bei mir zu Besuch. Wir lagen einfach nur zusammen auf dem Boden, innig ineinander verschlungen. Eine ganze Weile. Ich strich ihm wie früher mit der Hand über seinen Hinterkopf.
Heute Nacht fiel mir meine Leica M10 runter und verschwand in der Ritze des Dielenbodens. Voller Schreck hoben wir die Dielen aus. Es kam ein ganzes Leica-Depot zutage, sogar eine M3 war darunter! Nur meine blieb wie vom Erdboden verschluckt.
Ich streifte mit meiner Kamera umher und dann das: Eine Frau saß halb im Gebüsch und machte sich an einer metergroßen Schweinshaxe zu schaffen. Sie war so ins Essen vertieft, dass ich mit meiner Kamera unbemerkt blieb. Vielleicht scherte sie sich aber einfach auch nicht um mich. Wie auch immer – in meinem Sucher verschwand ihr Kopf schließlich hinter der überdimensionierten Riesenschweinshaxe.
Mein Traum war fast schon zu Ende, da schwamm noch eine weiße Ente durch die Luft an der Baumkrone vorbei – wohlgemerkt, sie flog nicht, sondern sie schwamm. Das Bild hatte etwas ungemein Friedliches.
Ich wohnte in einer neuen Wohnung direkt unter dem Dach – mit Ausblick über die Dächer, ein wenig wie in Paris. Seltsamerweise hatte meine Wohnung einen unterschiedlichen Ein- und Ausgang, was mir lange Zeit nicht aufgefallen war. Oft war ich verwirrt, weil ich dadurch die Orientierung in der Wohnung verlor. Als ich es endlich verstanden hatte, musste ich lachen und sprang erleichtert über den Ausgang hinaus auf die gräulich glitzernden Dächer.
© Joanna Kosowska
Julia Baier
Geboren 1971 in Augsburg. 1991 bis 1995 Studium an der Universität Bremen, 1995 bis 2002 Grafikdesign an der Hochschule für Künste Bremen. Julia Baier arbeitet sowohl an persönlichen künstlerischen Projekten als auch im Auftrag für Magazine, Institutionen, Kunden und Agenturen. Sie hat zahlreiche Förderungen und Auszeichnungen erhalten. Seit 2019 ist sie Mitglied des Fotografenkollektivs UP. Sie lebt in Berlin.
Webseite
Instagram
auf facebook
newsletter
app