Joan Colom 100 Jahre

30. April 2021

Vor hundert Jahren wurde der spanische Fotograf geboren, der vor allem mit seinen ab Ende der 1950er-Jahre entstandenen Leica-Aufnahmen aus den Rotlichtvierteln Barcelonas für Aufsehen sorgte.
Möglichst unauffällig bewegte sich Joan Colom mit seiner Leica M2 durch die Straßen von Barcelona. In Anzug und Krawatte sah er aus wie ein alltäglicher Flaneur, seine locker am Handgelenk getragene Kamera fiel kaum einem der anderen Passanten auf. Belichtungszeit, Blende und Entfernung waren bereits eingestellt, sodass er scheinbar ganz nebenbei fotografierte, ohne mit dem Blick durch den Kamerasucher Aufmerksamkeit erregen zu müssen. Diese Perspektive auf Hüfthöhe veränderte auch die Ästhetik seiner Bilder, ließ sie spontan und direkt erscheinen. Er fotografierte Kinder, Händler, schräge Typen, näherte sich dann immer weiter dem damaligen Rotlichtviertel Barcelonas und hielt die Prostituierten, manchmal auch ihre Kunden in seinen heimlich aufgenommenen Bildern fest.

Das Raval-Viertel, heute als Barrio Chino bekannt, stand auch 1961 in seiner ersten großen Ausstellung El Carrer (Die Straße) im Mittelpunkt. Hier kannte er sich aus, seine Eltern, Einwanderer aus Kolumbien, hatten ganz in der Nähe ihren Blumenladen. Colom, am 30. April 1921 geboren, war ein fotografischer Autodidakt: Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1986 arbeitete er als Buchhalter in einem Textilunternehmen, doch schon früh wurde die Fotografie wesentliche Leidenschaft seines Lebens. Bereits 1957 trat Colom der Fotografischen Vereinigung von Katalonien bei. Er verfeinerte seine technischen Fähigkeiten und ihn beeinflussten vor allem die Kontakte zu Fotografen wie Oriol Maspons, Xavier Misrachs oder Ramón Masats. 1960 war er Mitbegründer der avantgardistischen Künstlergruppe El Mussol. Auch wenn Colom nie der Absprung in eine professionelle Fotografenkarriere gelang, gilt er heute längst als einer der wichtigsten Erneuerer der Fotografie Spaniens im 20. Jahrhundert.

Rückblickend beschrieb er selbst seine Arbeit so: „Ich wusste damals nicht, dass ich soziale Fotografie machte. Ich habe einfach fotografiert und Bilder gesucht, die ich spannend fand. Ich habe den Begriff manchmal benutzt, um meine Arbeit zu beschreiben, aber für mich bedeutet er einfach, dass ich keine Landschaften oder Stillleben mache. Ich arbeite auf der Straße. Ich versuche, durch meine Fotografien eine Art Notar einer Epoche zu sein.“

1964 erschien das Buch Izas, rabizas y colipoterras, ein Text des späteren Literatur-Nobelpreisträgers Camilo José Cela begleitete diese Auswahl von Coloms Fotografien. Ein großer Erfolg, aber auch ein Skandal in den prüden Jahren der Franco-Diktatur. In der Folge verklagte eine der abgebildeten Frauen den Fotografen und den Verlag. Die Auseinandersetzungen über das heimliche Fotografieren führten dazu, dass Colom für Jahrzehnte die Straßenfotografie einstellte. Erst ab den 1990er-Jahren entstanden wieder Aufnahmen, nun in Farbe. Vor allem wurde auch sein frühes Werk wiederentdeckt und er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen, darunter waren 2002 der spanische „Premio Nacional de Fotografia“, 2003 die Goldmedaille für kulturelle Verdienste des Stadtrats von Barcelona und 2004 der Nationalen Preis für Bildende Kunst.

Im Jahr 2012 schenkte der Fotograf sein Archiv dem Museu Nacional d’Art de Catalunya in Barcelona. Hier wurde sein Werk 2013/2014 zuletzt in einer umfangreichen Ausstellung gewürdigt. Am 3. September 2017 ist Joan Colom im Alter von 96 Jahren in Barcelona verstorben. Als genauer Beobachter und sensibler Chronist hat er Geschichte geschrieben. (Ulrich Rüter)
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