Nachruf: George S. Zimbel

30. Januar 2023

Mit 93 Jahren ist der amerikanisch-kanadische Leica-Fotograf am 9. Januar in Montreal verstorben.
Am besten beschreibt nur ein einziges Wort die Arbeitsweise und das Werk des Fotografen: Zimbelism. Unter diesem Titel wurde 2016 eine Dokumentation veröffentlicht, in der die beiden Filmemacher Jean-François Gratton and Matt Zimbel – der älteste Sohn des Fotografen – auf die jahrzehntelange Karriere des amerikanisch-kanadischen Bildreporters blicken. Er war ein Geschichtenerzähler, der mit seiner Kamera Prominente, Präsidenten, Filmdiven, aber auch Menschen, die er zufällig bei seinen Streifzügen auf den Straßen von New York oder später in Montreal traf, fotografierte. Zimbels Werk ist ein vielschichtiges Zeugnis humanistischer Fotografie. Mühelos gelang es ihm immer wieder, spontan in Kontakt zu seinen Zeitgenossen zu treten, sie in präzise gestalteten Momentaufnahmen festzuhalten und zu Stellvertretern einer bestimmten Zeit, einer bestimmten Atmosphäre werden zu lassen. Als Mitglied der legendären New Yorker Photo League und Exponent einer engagierten Street Photography hat er über viele Jahrzehnte mit seinen Leica-Kameras – fast ausschließlich in Schwarzweiß – ein vielschichtiges Werk zusammengetragen.

Geboren wurde George S. Zimbel 1929 in Massachusetts, für sein Berufsleben ließ er sich in New York nieder, war zunächst an der Photo League und studierte dann an der Columbia University. Dort lernte er unter anderem Garry Winogrand kennen und hatte Kontakt zu Edward Steichen, dem damaligen Kurator für Fotografie am Museum of Modern Art. Während seines Dienstes bei der US-Armee verbrachte er auch zwei Jahre in Europa und dokumentierte die Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach seiner Rückkehr in die USA fotografierte er freiberuflich für zahlreiche Magazine. Zu seinen berühmtesten Bildern zählen heute Aufnahmen von Marilyn Monroe auf der Lexington Avenue im Jahr 1954, als sie für den Film The Seven Year Itch auf dem Abluftschacht ihr weißes Kleid in die Höhe fliegen ließ. Anders als viele andere anwesende Fotografen verkaufte Zimbel damals keine einzige Aufnahme – erst mehr als 20 Jahre später wurden sie Teil seiner Ausstellungen. In den frühen 1970er-Jahren zog Zimbel mit seiner Familie nach Kanada und lebte ab 1980 in Montreal. Auch dort widmete er sich weiter der Straßenfotografie. Präzise Laborarbeit (bevorzugt mit dem über 60 Jahre alten Leitz-Focomat-Vergrößerer) und analoge Schwarzweißfotografie zeichnen sein Werk aus, auch wenn er im hohen Alter die Vorzüge einer digitalen Leica zu schätzen lernte. Zahlreiche Ausstellungen, Ehrungen und Veröffentlichungen in den letzten Jahren haben das Arbeiten von Zimbel neu und wiederentdecken lassen. Am 9. Januar ist er nun im Kreis seiner Familie verstorben.
Ulrich Rüter
Alle Bilder auf dieser Seite: © George S. Zimbel
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