Dampfwolken in der Morgensonne

Frank Horvat

31. Mai 2021

„Das Einzigartige an dieser Stadt, und so schwierig einzufangen, ist die Gleichzeitigkeit des visuellen Schocks.“
Ein kalter Morgen in den Straßen von New York. Die momenthafte Szene im engen Ausschnitt zeigt das alltägliche Verkehrschaos, dazwischen eilige Passanten; den Rahmen der Aufnahme bilden dunkle Backsteinbauten, die den Blick auf ein besonderes Schauspiel lenken: Die noch tief stehende Sonne bringt die aus den unterirdischen Fernwärmerohren aufsteigende Wasserdampfwolken zum Glühen.

Für Frank Horvat war dieses Schauspiel eine willkommene Ergänzung zu seinen New-York-Impressionen, die er in den 1980er-Jahren sammelte. Ohne Auftrag ließ er sich durch die Straßen von New York treiben. „Das Einzigartige an dieser Stadt, und so schwierig einzufangen, ist die Gleichzeitigkeit des visuellen Schocks“, so Horvat: „Ein Wolkenkratzer oder das Gesicht eines Passanten, eng gerahmt, suggeriert nicht New York. Aus einem breiteren Winkel fotografiert, vermischt mit den Straßenschildern, Autos und Plakaten, werden sie Teil des sie umgebenden Chaos, absorbiert im Wirrwarr der Farben und verzerrt durch die fotografische Unschärfe, so ungewöhnlich im scharfen Licht von New York. Schwarzweiß würde vielleicht eine präzisere Gestaltung ermöglichen, aber mir würde das Gelb der Taxis fehlen, die Rosa- und Orangetöne der Ladenschilder, der blaue Himmel, der sich in den Fenstern spiegelt.“

Und so ließ sich Horvat bei seinen New-York-Aufenthalten immer wieder mit größter Neugier von der farbigen und chaotischen Vielfalt der Metropole inspirieren. Der Blick des Fotografen scheint in dieser Serie noch ein wenig poetischer, als in seinem übrigen Werk. In seiner langen Karriere hat sich Horvat ganz unterschiedlichen Sujets gewidmet: Bildjournalismus, Modefotografie, Stillleben, Landschaften, Porträts, auch digitalem Design. So vielfältig er war, so wichtig waren ihm die Inspirationen der Straße. Bevorzugt arbeitete der Fotograf in Schwarzweiß, doch die reichen visuellen Überraschungen, die er in New York erlebte, ermutigten ihn umso mehr, die Möglichkeiten der Farbfotografie leidenschaftlich auszuschöpfen. Ganz lapidar schreibt er in seinen begleitenden Tagebuchnotizen: „Und vor allem: Die Fotografie ist heute in Farbe, Ende der Diskussion. Schwarzweiß ist zu gekünstelt geworden.“ Und so wurde die Farbe das eigentliche Thema der Serie: „In meinen anderen Farbbildern habe ich die Farben im Vergleich zum Original oft abgemildert. Aber die Palette von New York ist zu lebhaft, die Farbe muss sprechen.“ Bei der Auswahl für Side Walk – es ist das letzte von ihm selbst zusammengestellte Buch – bevorzugte der Fotograf immer die „strenge Farbkomposition“, alle „Anekdoten und die zu dokumentarischen Bilder“ sortierte er aus. Nicht zuletzt durch die kräftigen Ektachrome-Farben wird das Buch zu einer nostalgischen Reise in die Vergangenheit einer Stadt, die es heute in dieser Form nicht mehr gibt. Mit der Wiederentdeckung seiner Serie hat uns der Fotograf ein sehr persönliches Geschenk hinterlassen.

Die LFI 4/2021 präsentiert eine Auswahl aus dem Bildband Side Walk. Er wurde veröffentlicht durch die Verlage Atelier EXB (Editions Xavier Barral) und Hatje Cantz.
Ulrich Rüter
Bild: © Frank Horvat

Frank Horvat+-

Frank Horvat_Selbstportrait_1999_copyright Frank Horvat
© Frank Horvat

Am 28. April 1928 im damals italienischen Abbazia (heute Opatija, Kroatien) geboren. Nach einem Studium in Mailand und begann er als fotografischer Autodidakt. Nach einem Jahr in London zog er 1955 nach Paris und lebte dort bis zu seinem Tod am 21. Oktober 2020. Bis in die späten Achtziger Jahre bleibt die Mode- und Werbefotografie das Hauptbetätigungsfeld. Danach wurden persönliche und freie Serien wichtiger. Mehr

 

Dampfwolken in der Morgensonne

Frank Horvat