Foto Trouvé

3. Juni 2019

Auf der Suche nach dem Seltsamen, dem Ungewöhnlichen, dem Absurden. Das andere Bild inmitten unserer Normalität, unseres Seins. Wir stellen Ihnen dieses Mal Fotografen vor, die mit ihren Bildern Spuren verfolgen und Dinge des alltäglichen Lebens entdecken, die wir nicht sehen, obwohl sie genau vor unseren Augen liegen.
Marcel Duchamp hat Anfang des 20. Jahrhunderts den Begriff des „Objet trouvé“ geprägt und seine Readymades zu Kunst erklärt. Das Objet trouvé bezeichnet nichts anderes, als einen beliebigen Gegenstand aus dem alltäglichen Leben in seiner einzigartigen Absonderlichkeit wahrzunehmen und ihn, durch die Darstellung seiner selbst, in den Stand eines Kunstobjektes zu erheben. Diese Idee, auf die Fotografie übertragen, ergibt das Foto Trouvé. Damit ist an dieser Stelle nicht der Ansatz des deutschen Fotografen Andreas Müller-Pohle in seinem Artikel Photo trouvé aus dem Jahre 1986 gemeint. Müller-Pohle bezog den Begriff „Photo trouvé“ auf die Auswahl des einen, gültigen Fotos aus vielen überschüssigen Negativen. Es ging ihm dabei um einen formalen Ansatz, der der Tatsache geschuldet war, dass der Fotograf in der analogen Ära nach der Aufnahme nie genau wissen konnte, wie die Aufnahme geworden war.

Ein Foto Trouvé kann sich darauf beschränken, ein einzelnes, gefundenes Objekt darzustellen. Hier ist die Nähe zum Objet trouvé der Dadaisten am größten. Chun Ming Chan scheint uns die Folgen eines hinterlistigen Angriffs auf einen Saugwurm in Taiwan zu zeigen, der beim Trinken brutal am Ohr verletzt wurde und dessen Kopf anschließend zwecks Vertuschung des Verbrechens notdürftig mit Klebeband am Boden fixiert wurde.
Nähert sich die Kamera einem Objekt, bis es in seiner Gänze nicht mehr erfasst wird, zerfällt es in Formen und Farben. Der Japaner Ikuo Inoue verwandelt auf diese Weise einen Stapel Stühle in eine atemberaubende Rhythmik vor einem schrillem Farbcocktail. Tritt der Fotograf einen Schritt zurück und stellt andere Elemente in Beziehung zu einem Objekt, sehen wir ein Stillleben. Elizabeth Cowle zeigt uns die gespenstisch verzauberte Schönheit eines kaputten Stuhls in einer verlassenen Gasse in Singapur. Jean-François Muguet ist auf Spurensuche im ländlichen Frankreich und rahmt mit einem Fußballtor ein Wäldchen, einen Mast und Stromleitungen zum Foto Trouvé ein, hier mit einem Bild im Bild. Will Yang bewahrt für uns die Erinnerung an eine rote Wand in Hongkong, die durch die zurück gelassene Ausrüstung eines Reinigungstrupps zum Foto Trouvé wurde und Michael Erimo hat einen Koffer in Paris gefunden, der eine Geschichte von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erzählt. Gaetano Iacolino schließlich zeigt, ebenfalls in Paris, dass ein Foto Trouvé auch ein intellektuelles Gedankenspiel sein kann. „Ne pas déranger“ steht auf dem Schild und bedeutet „Bitte nicht stören“. „Déranger“ heißt aber auch „durcheinanderbringen“ oder sogar „kaputt machen“. Die Installation im Schaufenster spielt mit diesen Bedeutungen und fordert damit ganz subtil zum zivilen Ungehorsam auf.
(Olaf Staaben)
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