Deceitful Reverence

Igor Pisuk

30. April 2019

Radikal, dunkel, intensiv und energiegeladen: Der Bildband des polnischen Fotografen ist das Ergebnis einer langen fotografischen Auseinandersetzung mit sich selbst. Form und Inhalt fügen sich dabei zu einem spannenden, emotional aufgeladenen Erlebnis.
Als er vor vier Jahren mit einer Auswahl aus der Serie als Finalist beim Leica Oskar Barnack Award ausgezeichnet wurde, war es nur ein Wunsch, sie irgendwann auch als Buch zu veröffentlichen. Nun liegt es vor: Deceitful Reverence, in kleiner Auflage bei Blow Up Press in Warschau erschienen. Mit dem Bildband ist auch ein sehr privates Lebenskapitel abgeschlossen, versucht der Fotograf doch, seine – heute überwundene – Alkoholsucht mit den Bildern zu dokumentieren und zu bändigen. Dieser sehr intime Ansatz erweist sich durch die außerordentlich freie Bildgestaltung als ein ungewöhnliches, aber überzeugendes Buchprojekt.

Auf dem mattschwarzen Cover ist trotz starker Verpixelung die gebeugte Figur eines nackten Menschen zu erkennen. Das Titelmotiv ist programmatisch, denn das Buch ist eine schonungslose Auseinandersetzung des Fotografen mit sich selbst. Viele Jahre hat er an dieser Serie mit ihren radikalen Stimmungen und emotionalen Überforderungen gearbeitet, die aber auch immer wieder sehr stille Momente präsentiert. Auch der Betrachter kann sich schnell auf einer Achterbahnfahrt der Gefühle wiederfinden, denn es ist eine dunkle, manchmal fast klaustrophobische Dichte, die die Bildmotive bestimmt. Die Abfolge unscharfer Körperporträts, die meist den Fotografen selbst zeigen, unterbrechen verrätselte Naturstudien oder skizzenhafte Sequenzen. Scheint am Anfang das Motiv der Verlorenheit, der Einsamkeit und des Kontrollverlustes zu dominieren, taucht im Verlauf der Buchdramaturgie dann eine weibliche Figur auf. Erlösungs- und Vereinigungsmotive erscheinen als Rettung – ein unscharfes Doppelporträt beschließt den wilden Bilderreigen.

Pisuk hat aus seinen Erfahrungen eine raue, atemlose Bilderreihe gemacht, deren Betrachter mit jedem Umblättern tiefer in die Seelenlandschaft des Bildautors stürzt, des „Mannes, der sich immer wieder verirrt, den Boden unter den Füßen verliert, fällt, aber Schritt für Schritt wieder das Raumgefühl gewinnt, zuerst sich selbst erreicht, dann nach draußen kommt – in die menschliche Welt“, so ein Zitat aus dem begleitenden Text von Agata Pyzik. Für Pisuk ist das Buch „eine Art Gedicht, ein Tagebuch und ein Bekenntnis“.

Doch es sind nicht die Bilder allein, die das Buch zu einem Erlebnis werden lassen, denn auch die überzeugende Gestaltung von Aneta Kowalczyk hat großen Anteil daran. Die Papierwechsel, das Einfügen farbiger Abzüge, der randlose Druck geben dem Buch ein überraschendes Tempo und unterstützen die Rastlosigkeit der subjektiv wirkenden Motive einer scheinbar spontanen, richtungslosen Fotografie. Sie haben in diesem Bildband eine adäquate, schlüssige Form gefunden. Die Zumutungen des Fotografen sind zwar sehr persönlich und suggestiv, lassen jedoch genügend Raum für eigene Assoziationen. So blickt der Betrachter am Ende eben nicht auf das Ergebnis einer visuellen Therapie zurück, sondern auf das starke, selbstbewusste Statement eines ungewöhnlichen Künstlers.

Igor Pisuk
Deceitful Reverence
152 Seiten, 102 Schwarzweiß- und Farbabbildungen, englisch, 22,4 x 30 cm, Blow Up Press
Hier erhältlich
Ulrich Rüter
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Igor Pisuk

Igor Pisuk+-

Pisuk, geboren am 14. Oktober 1984 in Bielsko-Biala, Polen, schloss 2014 sein Studium an der Filmhochschule Lodz mit einem Master in Fotografie ab. Er arbeitete als Assistent für Anders Petersen und ist Mitglied des Atonal Collective, das sich besonders auf persönliche, dokumentarische Fotografie konzentriert. Er lebt derzeit in Warschau. Mehr

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