Buch des Monats – The Making of Prawda

21. Juni 2019

Ein Roadtrip quer durch die USA: Die Reisenden nennen sich selbst „Die Furchtlosen Vier“. Es sind die Fotokünstlerin Jana Müller, der Künstler Alexej Meschtschanow, die Schriftstellerin Felicitas Hoppe und die Kulturwissenschaftlerin Ulrike Rainer.
Ein Roadtrip quer durch die USA: am Startpunkt Boston Anfang September beginnend und dann knapp sechs Wochen später nach 10.000 Meilen bzw. 16.000 Kilometer in New York endend. Die Reisenden nennen sich selbst „Die Furchtlosen Vier“: es sind die Fotokünstlerin Jana Müller, der Künstler und Bildhauer Alexej Meschtschanow, die Schriftstellerin Felicitas Hoppe und die Wahlamerikanerin und Kulturwissenschaftlerin Ulrike Rainer.

Der Auslöser für die Reise liegt allerdings bereits rund achtzig Jahre zurück, denn 1935 hatte das sowjetische Schriftstellerduo, Ilja Ilf (1897–1937) und Jewgeni Petrow (1903–1942), im Auftrag der Tageszeitung PRAWDA („Die Wahrheit“) eine legendäre Reise durch die Vereinigten Staaten von Amerika unternommen, die nun einer erneuten Bestandsaufnahme unterzogen wurde. War 1937 das Ergebnis von Ilf und Petrow der bis heute lesenswerter Reiseroman Das eingeschossige Amerika (ein Titel der sich der Erkenntnis schuldet, dass es in den USA eben nicht nur Hochhäuser gibt, sondern die meisten Amerikaner in einfachen Häusern und auf dem Land leben), so sind aus dem Remake 2015 gleich mehrere Projekte entstanden.

Nicht nur gibt es eine Website, die mit Texten, Bildern und O-Tönen die Reise dokumentiert, sondern Felicitas Hoppe publizierte im letzten Jahr ihre Erfahrungen mit dem Buch „Prawda. Eine amerikanische Reise“. Außerdem gibt es als Ergebnis der Tour eine gemeinschaftlich entwickelte Ausstellung, die unter dem Titel Europa verlassen bereits in Langenhagen und Berlin zu sehen war.

Die Viererkonstellation der Reisenden entspricht dem Vorbild, auch Ilf und Petrow waren nicht einfach nur zu zweit unterwegs. Sie mussten sich in den USA angekommen, schnellstens um Begleiter kümmern, denn beide hatten keinen Führerschein – eine eher schlechte Ausgangslage für einen Roadtrip. Als ideale Reiseführer fanden sie den in Lettland geborenen Ingenieur Solomon Trone, der ehemals in der Sowjetunion gearbeitet hatte, und dessen amerikanischen Frau Florence. Sie hatte als einzige einen Führerschein und steuerte auf der rund viermonatigen Tour den mausgrauen Ford sicher durch die USA von Ost nach West und, zurück über die Südstaaten, von West nach Ost.

Nicht nur die Reisenotizen sind erhellende Dokumente, sondern als besonderer Glücksfall erwies sich auch der Umstand, dass Petrow seine Leica mit im Reisegepäck hatte. So finden sich in dem Originalreisebericht von 1937 zahlreiche Fotografien, die nun im neuen Remake der Reise ebenfalls aufscheinen: immer wieder gibt es Momentaufnahmen, die das Ilf/Petrow-Buch aufgeschlagen und mit Lesezeichen und Notizzetteln versehen zeigen, jeweils im Kontext eines Hotelzimmers oder eines Ruhepunktes während der Reise von 2015. Diesmal stand übrigens ein rubinroter Ford Explorer zur Verfügung, vermutlich deutlich komfortabler als das Reisemodell von 1935.

Was ist aus dem Land der Wünsche und Verheißungen geworden? Was erkundeten die beiden wissbegierigen Sowjet-Russen, damals auf dem Höhepunkt des Stalin-Terrors im eigenen Land und der Wirtschaftskrise in den USA? Und was erscheint heute wichtig? „Reisend unterwegs, auf Haupt- und Nebengleisen, Geschichten und Bilder sammelnd, versuchen wir schauend, hörend, zeichnend und schreibend, mit wechselnden (virtuellen wie echten) Gästen im Cockpit ein gelobtes Land diesseits und jenseits seiner Verheißungen zu erkunden,“ so die Idee der „Furchtlosen Vier“.

The Making of Prawda erzählt nun in höchst anregender Form von der ungewöhnlichen Reise. Das konzeptionelle Buch, das an die Herangehensweisen des Kulturwissenschaftlers Aby Warburgs erinnert, verbindet als Reisebericht zahlreiche Fotografien, ein Künstlergespräch, Auszüge aus Hoppes Roman, Zitate, historische Dokumente und Registereinträge zu einer lebendigen Kartografie.

Ob der in Las Vegas fotografierte Trump Tower, die Teppichornamente in den trüben Motels oder die karge Landschaft an der Grenze zu Mexiko: Im Abgleich mit den Reiseerfahrungen von Ilf und Petrow, verweisen die Aufnahmen und Texte in The Making of Prawda auf eine gesellschaftliche Aktualität und zeigen, wie sich Geschichten und Mythen fortschreiben und immer wieder neu an Bedeutung gewinnen. (Ulrich Rüter)

The Making of Prawda
Felicitas Hoppe, Alexej Meschtschanow, Jana Müller, Ulrike Rainer
136 Seiten, 60 Farb- und 43 s/w-Abbildungen, Softcover mit Klappen, deutsche und englische Ausgabe, 23,5 × 31,5 cm, DISTANZ Verlag

© für die Fotografien: Jana Müller, DISTANZ Verlag
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