Buch des Monats – Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950

Wolff & Tritschler

12. Juli 2019

Auch wenn sie in ihrer Zeit eines der modernsten und erfolgreichsten Fotografie-Unternehmen leiteten, ist die Arbeit von Dr. Paul Wolff und Alfred Tritschler heute erst wieder zu entdecken. Der aktuelle, schwergewichtige Bildband lädt dazu ein.
Gibt es irgendein Thema, das von Paul Wolff (1887–1951) nicht fotografiert worden ist? Blickt man auf das riesige Lebenswerk, das er zusammen mit seinem Unternehmenspartner Alfred Tritschler (1905–1970) hinterlassen hat, so wird ein unglaublich breites Arbeits- und Themenspektrum deutlich. Einzig die Felder der klassischen Aktfotografie oder auch der Landschaftsfotografie könnten vielleicht fehlen – oder sind diese Abteilungen einfach noch nicht in dem auf rund 700.000 Aufnahmen geschätzten Werk entdeckt worden?

Aber keine Frage, das nun von Hans-Michael Koetzle vorgelegte Buch ist ein lange fehlender Meilenstein zur Erkundung des Werkes von Dr. Paul Wolff und Alfred Tritschler. Vor allem als Pioniere der Leica, als Trendsetter eines lebendigen Stils der Illustrationsfotografie und Reportage zählten sie zu den produktivsten deutschen Fotografen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie haben über den konsequenten Einsatz des Kleinbilds „das Sehen dynamisiert und nachhaltig unseren Blick auf das technische Zeitalter geprägt“, so Reiner Packeiser im Vorwort des Buchs Dr. Paul Wolff & Tritschler, das die gleichnamige Ausstellung im gerade eröffneten Ernst Leitz Museum in Wetzlar begleitet. Buch und Ausstellung sind der krönende Abschluss einer über zehnjährigen Recherche und Forschungsarbeit von Hans-Michael Koetzle. Eine kritische Auseinandersetzung mit Wolf und Tritschler erschien überfällig. Noch in den Nachrufen wurde Wolff 1951 als der „berühmteste deutsche Fotograf“ bezeichnet, allerdings geriet er schnell in Vergessenheit. Zu Recht hinterfragt Koetzle in seiner Einführung die Gründe „warum es bisher keine retrospektive Ausstellung, keine historisch-kritische Monografie gegeben hat – also ein Buch, das der kontrovers diskutierten Vita des Fotografen ebenso gerecht würde wie einem Œuvre, das sich weder thematisch noch formal noch ideologisch auf einen Nenner bringen lässt.“ Mit dieser Frage sind zugleich auch schon die Gründe für eine zögerliche Neubewertung des widersprüchlichen Werkes benannt. 

Beginnend in den 1920er-Jahren, konnte Wolff – nicht zuletzt durch seinen wichtigsten Mitarbeiter Alfred Tritschler, der 1927 in das Unternehmen kam und später Teilhaber wird – in wenigen Jahrzehnten ein erfolgreiches Unternehmen aufbauen, das alle gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umbrüchen scheinbar mühelos begleitete und daher „ebenso für Aufbruch wie für Anpassung“ steht (Koetzle). Das Werk umfasst gleich mehrere Kapitel deutscher Geschichte: vom kulturellen Aufbruch in den Jahren der Weimarer Republik über die Zeit des Nationalsozialismus bis hin zum Zweiten Weltkrieg, in dessen Endphase auch wesentliche Teile des Wolff-Archivs bei einem Luftangriff vernichtet wurden. Formal-ästhetisch changiert es zwischen Konvention (Weihnachten in einer Schwarzwaldbauernstube) und Neuer Sachlichkeit, Heimatstil und Neuem Sehen. Insbesondere stand ihre Heimatstadt Frankfurt am Main im Fokus und hat die Vorstellung sowohl des alten aber auch „Neuen Frankfurt“ bestimmt. Darüber hinaus waren ihre vom Fernweh geprägten Aufnahmen von Auto- oder Schiffsreisen oder sogar Fahrten mit dem Zeppelin ein typischer und wichtiger Teil des Werks. In der Reisefotografie hatte vor allem Alfred Tritschler sein bevorzugtes Metier gefunden und sein Stil erscheint im Vergleich zu Wolff durchaus dynamischer. Der Beitrag und die Bedeutung des oft unterschätzten Unternehmenspartners Tritschler werden dankenswerterweise ausführlich und differenziert im Buch thematisiert.

Als umtriebiger Publizist war Wolff Teil einer Medien-Moderne, der mit seinem Unternehmen national wie international unglaubliche Erfolge erzielte. Der wesentliche Grund dafür lag nicht zuletzt in der sehr modernen Arbeits- und Distributionsweise. Nicht selten findet sich auf den Rückseiten der Abzüge der Stempel „zu beliebiger Verwendung“. Ohne Auftrag wurden auf Vorrat Themen und Motivgruppen „durchfotografiert“, um sie dann später vielfältig einsetzbar anzubieten. Dieser Ansatz, heute allgemein in der „stock photography“ gebräuchlich, war damals in dieser Konsequenz und mit diesem Aufwand noch ungewöhnlich; so beschäftigte das Unternehmen Dr. Paul Wolff & Tritschler in seinen besten Jahren rund 20 Mitarbeiter, nicht nur als Assistenten, Laboranten, Angestellte in Versand, Archiv und Buchhaltung, sondern es gab auch weitere Fotografen, die nach den Vorgaben der beiden Inhaber die Themenvielfalt ständig weiter ausbauten.

Das Buch räumt mit vielen Vorurteilen auf und unterlässt erfreulicherweise den Versuch, den verblassten Mythos Wolffs unreflektiert aufzupolieren. Zu entdecken gibt es großartige Einzelbilder, aber auch selten gesehene Serien und unzählige Reproduktionen seiner Veröffentlichungen. Aus quellenkritischer und kulturgeschichtlicher Perspektive wird das Phänomen „Dr. Paul Wolff & Tritschler“ aus verschiedenen Perspektiven in dem Band untersucht. Mit einer ganzen Reihe namhafter Autoren hat der Herausgeber in neun Kapiteln sowie einer detaillierten Chronologie zu Leben und Werk (erarbeitet von Hans-Michael Koetzle) und einer akribischen Bibliografie der Bildbände, Leica-Literatur und Firmenschriften (zusammengestellt von Randy Kaufman) einen vorbildlichen Bildband vorgelegt. Dabei wird die Materialfülle in einem erfreulich zurückgenommenen, aber sehr ansprechendem Design und Layout präsentiert (Gestaltung: Alessandro Argentato). Insgesamt also ein gelungener Versuch, das zwischen Dienstleistung und Kunstanspruch, Avantgarde und Anpassung, Moderne und Tradition oszillierendes Werk wieder oder neu zu entdecken. 

Dr. Paul Wolff & Tritschler
Licht und Schatten – Fotografien 1920 bis 1950
Hans-Michael Koetzle (Herausgeber); mit Texten von Sabine Hock, Randy Kaufman, Hans-Michael Koetzle, Kristina Lemke, Günter Osterloh, Tobias Picard, Gerald Piffl, Shun Uchibayashi, Thomas Wiegand
464 Seiten, ca. 1000 Farb- und Duplexabbildungen, 24 x 29 cm, Deutsche und englische Ausgabe, Kehrer 
Die Eröffnungsausstellung des Ernst Leitz Museums ist noch bis zum 26. Januar 2020 in Wetzlar zu sehen.
Ulrich Rüter
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Wolff & Tritschler

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Dr. Paul Wolff, geboren am 19. Februar 1887 in Mulhouse, studierte bis 1913 Medizin (Abschluss 1914). Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er im Film und als Fotograf, traf 1921 Oskar Barnack und erwarb 1926 seine ersten beiden Leicas. Sein Standardwerk Meine Erfahrungen mit der Leica wurde 1934 veröffentlicht. 1934 gründete er mit Alfred Tritschler, der seit 1927 für ihn tätig war, ein Unternehmen.

Alfred Tritschler, geboren am 12. Juni 1905, absolvierte in seiner Geburtsstadt Offenburg (Baden) eine fotografische Ausbildung und studierte ab 1924 Fototechnik in München. 1927 bewarb er sich bei Paul Wolff in Frankfurt um eine Stelle. Später wurde er Miteigentümer und führte nach Wolffs Tod am 10. April 1951 das Unternehmen selbstständig weiter. Am Silvesterabend 1970 verstarb Tritschler. Das Unternehmen hatte bereits 1963 ein Neffe übernommen. Mehr

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