Buch des Monats: A Parallel Road

Amani Willet

8. Februar 2021

Der Roadtrip: noch immer der klassische Weg, Amerika zu entdecken. Allerdings nicht für jeden. Ein speziell gestaltetes Buch hinterfragt aus der Perspektive schwarzer Amerikaner den „weißen“ Mythos der Straße.
Amerika – das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Größte Freiheit, das Land kennenzulernen, bot und bietet bis heute das Auto. Dieser nicht zuletzt in Literatur und Kunst gepflegte Mythos wird im neuen Buch des amerikanischen Fotografen auf vielschichtige Weise hinterfragt, denn sich frei zu bewegen, um die Vielfalt von Land, Landschaft und Kultur kennenzulernen, blieb und bleibt Millionen von Amerikanern verwehrt. Die Selbsteinschätzung des Landes, frei, demokratisch und barrierefrei zu sein, ist für Schwarze oft eine Zumutung.

Ausgangspunkt für Amani Willetts fünfjähriges Projekt waren eigene Erfahrungen und die seines Umfelds. Die Straße wird von vielen Schwarzen nicht als Freiraum und Möglichkeit der Unabhängigkeit wahrgenommen, sondern als angstbesetzter, unberechenbarer und gefährlicher Ort, in dem alltäglicher Rassismus, Gewalt und Tod drohen. „In den letzten zehn Jahren habe ich ausführlich mit Familie und Freunden darüber gesprochen, wie beängstigend sich die Straße anfühlen kann und dass sie oft zweimal darüber nachdachten, bevor sie sich einfach ins Auto gesetzt haben und losfuhren“, erläutert Willett den Ausgangspunkt seines Projekts: „Für mich und viele andere schwarze Amerikaner beschwört ‚die Straße‘ sofort Bilder eines politisch umkämpften Raums herauf, in dem Generationen für gleiche Rechte gekämpft haben, vor allem während der Bürgerrechtsbewegung in den 1950er- und 60er-Jahren. Die Straße weckt aber auch Erinnerungen an eine schreckliche Schattenseite der amerikanischen Gesellschaft – als Ort der Rassendiskriminierung und Brutalität.“

Die Aufmachung des Bildbands ist besonders und aufwendig: Die Exemplare sind handgenäht, haben eine unbeschnittene Vorderkante und sie werden in einer bedruckten Schutzhülle geliefert. Gestalterisches Vorbild für den kleinformatigen Band ist Victor Greens The Negro Motorist Green Book, ein von 1936 bis 1966 jährlich publizierter praktischer und damals notwendiger Reiseführer, der sich an afroamerikanische Autofahrer richtete. Er listete Adressen auf, die als sicher galten, denn zur alltäglichen Diskriminierung gehörte auch, dass sich Tankstellen, Autowerkstätten oder Hotels oft weigerten, ihre Dienste auch Schwarzen anzubieten. Zwar wurde der Reiseführer nach dem gesetzlichen Diskriminierungsverbot von 1964 formell überflüssig, doch viele Einschränkungen und Gefährdungen bestehen noch immer. Überlagert werden die Greenbook-Originalseiten mit Archivmaterial, das von historischen sowie von Willett aufgenommenen Fotografien bis hin zu Anzeigenreproduktionen und Internet-Screenshots reicht. Spätestens dort wird die bis heute bestehende Realität systemischen Rassismus deutlich.

Ein bemerkenswertes Buch: Gerade durch die feine handwerkliche Gestaltung gelingt Amani Willett eine aufschlussreiche Darstellung des bestehenden Rassismus und ermutigt zum Dialog über komplexe Fragen zu Identität, Selbstwahrnehmung und Freiheit.

Amani Willet: A Parallel Road
112 Seiten, 85 Fotografien, Archivbilder und Screenshots, 12,5 x 17 cm. Englisch, Overlapse.
Design: Tiffany Jones
Ulrich Rüter
Alle Bilder auf dieser Seite: © Amani Willett, courtesy Overlapse

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© Alison Kalis

wurde in Daressalam, Tansania, geboren, wuchs in Cambridge, Massachusetts, auf und lebt heute in Brooklyn und Boston. Er hat einen BA der Wesleyan University, Middletown, Connecticut, und einen MFA der School of Visual Arts, New York im Fachbereich Photography, Video and Related Media. In seiner Arbeit untersucht er Familie, Geschichte, Erinnerung und soziales Umfeld. Nach The Disappearance of Joseph Plummer (Overlapse 2017) und Disquiet (Damiani 2013) ist A Parallel Road seine dritte Monografie,. Seine Arbeiten wurden u. a. in Harper’s, Newsweek, The New York Times und The New York Times Magazine veröffentlicht. Mehr

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