Joel Meyerowitz – Leica Hall of Fame 2016

Joel Meyerowitz

17. Januar 2017

Einer der renommiertesten Vertreter der Street Photography zieht ein in die Leica Hall of Fame: Joel Meyerowitz. Anlässlich der Ehrung hat LFI mit dem US-Fotografen gesprochen.
Bilder, die die Welt berührt haben, Momente, die unvergessen bleiben: Die Leica Camera AG beruft in unregelmäßigen Abständen herausragende Fotografen in die Leica Hall of Fame – Fotografen, die mit ihrem Blick auf die Welt etwas bewegt, etwas verändert haben. Das Zeugnis ihres Schaffens sind Bildikonen, die sich in unser kollektives Gedächtnis gebrannt haben, die berührend und zeitlos die conditio humana veranschaulichen. Als Erster wurde 2011 Steve McCurry mit dem Leica Hall of Fame Award geehrt, es folgten Barbara Klemm, Nick Ut, René Burri,Thomas Hoepker und Ara Güler.
Ende 2016 wurde nun Joel Meyerowitz in die Leica Hall of Fame berufen. Ohne Zweifel gehört der Fotograf zu den renommiertesten Vertretern der US-amerikanischen Street Photography und Colour Photography. Wie kaum einem anderen gelingt es ihm immer wieder, aus dem überbordenden Gewirr des Alltags überraschende und oft sehr kuriose Momente herauszupräparieren. Die in Bruchteilen von Sekunden erkannten Motive präsentieren sich dabei stets als perfekt gestaltete Kompositionen, ganz gleich ob sie in Schwarzweiß oder in Farbe aufgenommen wurden.
Anlässlich der Ehrung haben wir mit Joel Meyerowitz gesprochen.




LFI: Sie wurden schon häufig geehrt, welche Bedeutung hat die Aufnahme in die Leica Hall of Fame für Sie?

Joel Meyerowitz: Dass Leica mein Lebenswerk würdigt, das mit den großartigen Apparaten aus Wetzlar entstanden ist, ist mir wirklich eine Ehre. Zwischen Leica und den Künstlern, die diese Kameras verwenden, besteht eine seltene, wunderbare Symbiose, die in der technischen Welt von heute nicht mehr üblich ist. Es ist schön, Teil einer Gemeinschaft zu sein.

Seit wann arbeiten sie mit Leica-Kameras?

Ich konnte meine erste Leica schon zwei Jahre, nachdem ich mit dem Fotografieren begonnen hatte, erwerben, irgendwann Ende 1964. Die Möglichkeiten der Kameras, die ich damals besaß, waren begrenzt, ich wollte etwas Intimeres, etwas, das so schnell war, wie ich arbeiten wollte. Mein bester Freund damals, Garry Winogrand, verwendete eine M3. Dieser Dreiklang aus Wunsch, Bedarf und Freundschaft gab den Ausschlag, meine erste M2 zu kaufen.

Welche Kameras haben Sie in Ihrer Karriere verwendet?

Die M2, die M4 und die M6. Außerdem eine 8x10-Zoll-Fachkamera von Deardorff für Landschaftsaufnahmen, bei denen Geschwindigkeit nicht die wichtigste Rolle gespielt hat. Heute verwende ich Tag für Tag M- und S-Systeme, auf der Straße, für Stillleben, Porträts und für Auftragsarbeiten. 2015 habe ich zum Beispiel für die Expo in Mailand einen ganzen Pavillon mit Porträts und Brot-Stillleben gestaltet.

Spielt die Kamera eine Rolle für die Auswahl Ihrer Motive?

Für mich ist Street Photography das wichtigste Beispiel für eine perfekte Verbindung zwischen Kamera und Sujet. Die S verwende ich für meine Stillleben-Serien, und die Qualität ist so vorzüglich, dass ich überhaupt kein Bedürfnis verspüre, zu Film und Großformatkamera zurückzukehren.

Was inspiriert Sie bei der Fotografie?

Wenn mich etwas in der ganz normalen Welt für einen Moment in Erstaunen versetzt, mache ich eine Aufnahme – was immer mir meine Wahrnehmung und Intuition auch angeboten haben mag.

Hat der Wechsel von der analogen zur digitalen Fotografie Ihre Arbeit beeinflusst?

Nur insofern, als ich weniger Zeit in der Dunkelkammer verbringe. Ich war wahrscheinlich einer der ersten prominenten Fotografen, die Photoshop verwendet haben. Im Sommer 1991, ein Jahr nach Erscheinen, habe ich mit einer Betaversion gearbeitet, ganz allein und ohne Anleitung. Ich habe mir alles selbst beigebracht und später auch einige Ideen mit Adobe geteilt.

Wie beurteilen Sie den gegenwärtigen Stand der Street Photography?

Ausgezeichnet! Es sind einige interessante Fotografen aufgetaucht, gerade wegen des Potenzials, das die Digitalisierung mit sich gebracht hat. Aufgrund des Internets konnten diese Fotografen eine enorme Community bilden.

Ende der 1960er waren Sie das erste Mal in Europa, heute leben Sie in der Toskana. Empfinden Sie die Arbeit in Europa und den USA als unterschiedlich?

Obwohl die USA so vielfältig sind, stellt sich doch eine gewisse Vertrautheit ein, egal wo man sich gerade befindet. Die gleichen Ladenketten, mit wenigen regionalen Ausnahmen die gleichen Lebensmittel, die Architektur ist im Wesentlichen überall identisch, die Einstellungen der Menschen ähneln sich. Die Vielfalt in Europa, die Sprachen und Gebräuche, der Sinn für die Gegenwärtigkeit des Vergangenen – all das sorgt für eine frische Sichtweise, die ich instinktiv immer besser verstehe, je länger ich hier lebe. In Europa habe ich mit den Stillleben begonnen, ein Sujet, das mir in über 50 Jahren nicht in den Sinn gekommen war. Jetzt widme ich meine Tage einem neuen Projekt. Ist das ein europäischer Einfluss? Ich bin mir nicht sicher, aber es kam so, als ich hier war. Dann muss ich wohl akzeptieren, dass mich etwas hier dazu gebracht hat.

Herr Meyerowitz, Ihre Wünsche für die Zukunft?

Ich wünsche mir Dinge, die weit über mein Wohlbefinden und meine Arbeit hinausgehen. Ich wünsche mir Harmonie zwischen Menschen, Völkern und Staaten. Ich wünsche mir Politiker, die Sorge für die Menschen tragen, die sie repräsentieren, und nicht für ihre eigenen Interessen. Ich wünsche mir, dass junge Menschen auf der ganzen Welt in einem System leben, in dem Hoffnung ein Teil ihres Lebens ist, nicht Verzweiflung wie im Moment. Auch sie sollten Erfüllung in einem künstlerischen Zeitvertreib finden können.
ALLE BILDER AUF DIESER SEITE: © Joel Meyerowitz

Joel Meyerowitz+-

Geboren 1938 in New York, aufgewachsen in der Bronx, studierte zunächst Malerei und war danach als Artdirector tätig. Seit den 1960er-Jahren gehört zu den großen Vertretern der amerikanischen Street und Color Photography. Er lebt und arbeitet in New York und in der Toskana. Mehr

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