Buch des Monats – Bieke Depoorter: I am about to call it a day

31. Januar 2015

„Mir ist es wichtig, meine Arbeiten in Büchern aufgehen zu lassen. So können sie auf eine völlig andere Art betrachtet werden als in einer Ausstellung. Das Buch ist auf seine Weise viel intimer.“
„Mir ist es wichtig, meine Arbeiten in Büchern aufgehen zu lassen. So können sie auf eine völlig andere Art betrachtet werden als in einer Ausstellung. Das Buch ist auf seine Weise viel intimer. Ich hab mich darin für eine pure Form entschieden, da ich den Fotos genug Raum geben möchte. Kaum Text, keine Unterschriften. Der Leser soll frei sein in seiner Interpretation.“

In einen schmucklosen Schutzkarton ist Bieke Depoorters neues Buch eingefasst, auf dessen Frontseite Name und Titel in großen Lettern prangen. Ein spärlicher Text auf der Rückseite. Erwartungsvoll will man den Band aus der Pappe heben, aber der Buchblock ist fixiert. Obwohl der Schuber als Hochformat angelegt ist, werden im Buch fast nur Querformate präsentiert. So dreht man das Ganze um 90°, um unmittelbar in die Serie gezogen zu werden.

Viele Fotografen erarbeiten im Vorfeld eines Projekts einen Plan, um alle Eventualitäten zu minimieren. Bieke Depoorter wählt einen diametralen Ansatz. Der Zufall ist ihr wichtigster Zulieferer. 2008 ist sie mit der Transsibirischen Eisenbahn unterwegs, steigt immer wieder aus und hält Vorübergehenden, deren Sprache sie nicht spricht, einen Zettel unter die Nase. Darauf ist die Bitte nach einem Schlafplatz notiert. Aus dem Experiment resultieren raue, emphatische Bilder, die vom innersten Kern familiären Zusammenlebens berichten. Sie machen die Fotografin auf einen Schlag bekannt und bringen ihr mehrere Preise, Ausstellungen und eine assoziierte Mitgliedschaft bei Magnum ein.

Für die neue Serie I am about to call it a day unternimmt sie etwas Ähnliches. Mutterseelenallein trampt sie durch die USA. Obwohl sie die Sprache beherrscht, bleibt es ein Wagnis, Leute anzusprechen und mit ihnen nach Hause zu gehen. Unfassbar ist umgekehrt die Ungezwungenheit, mit der ihre Gastgeber sie bereitwillig am Alltag teilhaben lassen, immer aus dem Wissen heraus, dass die junge Frau bald weiterzieht. Die Bilder ihrer Übernachtungsstationen durchwebt die Belgierin mit Ansichten von Landschaften, die sie tagsüber passiert. On the road again.

Irgendwo angekommen, drückt sie nicht um jeden Preis auf den Auslöser, oft bleibt die Kamera ungenutzt. Doch es gibt Momente des Einverständnisses, wo sie diejenigen porträtiert, die am Ende des Tages zur Ruhe kommen und ihre Masken fallen lassen. Dann entsteht Großes: sich umarmende Paare, einsame Menschen mit traurigen Blicken, Jugendliche, die in dem fremden Gast eine willkommene Abwechslung sehen und erst ihr Zimmer und dann ihr Inneres öffnen. Einmal gibt es einen Brief, den ihr jemand reicht und der ein klammes Unbehagen am Dasein beschreibt. Die Fotografin zeigt uns das Drama der amerikanischen Familie und gleichzeitig das Inbild einer Gesellschaft, in der diese lebt. Als Betrachter ist man überwältigt von dem Funkenschlag der Intimität, den diese Bilder versprühen. Peter Lindhorst

Bieke Depoorter: I am about to call it a day.
Verlag Patrick Frey. Zürich 2014
43 Seiten mit 42 Farbtaf., 28 x 42 cm
57,00 Euro, www.editionpatrickfrey.com

Vom 5. Februar bis 20. März ist in der Hamburger Galerie Freelens eine Ausstellung mit Fotos von Bieke Depoorter zu sehen.


Alle Bilder: © Bieke Depoorter/Magnum Photos
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