Buch des Monats - The Many Lives of Erik Kessels
Buch des Monats - The Many Lives of Erik Kessels
12. April 2017
Aus "in almost every picture #07". Jeder Schuss ein Treffer. Diese Serie zeigt das Leben einer holländischen Frau, die ihre Leidenschaft für Schießbuden auf dem jährlichen Jahrmarkt in ihrem Heimatort auslebte, dokumentiert aus der Perspektive automatischer Kameras. So entstand ab 1936 ein Lebens- und Bilderzyklus ganz eigener Art, der erst mit dem Tod der Dame endete
Während aber Bilder in der Werbung immer perfekt sein müssen und ihm diese Makellosigkeit oft langweilig erschien, hat Kessels in seinen freien Arbeiten ein besonderes Faible für das Unperfekte entwickelt. Zufällige Schnappschüsse mit Fehlern, Fotografien, die verwackelt oder überbelichtet sind, missglückte Posen oder irrwitzige Zufallsbegegnungen: All das sucht Kessels in den fotografischen Sammlungen privater Fotoalben. Er kategorisiert nach eigenen Themen und findet so einzigartige Bildfolgen und Vergleichsserien, die er immer wieder in Büchern und Ausstellungen präsentiert hat. Ohne Zweifel erhalten die auf Flohmärken oder im Internet gefundenen Bildmotive in der Arbeit von Kessels ein zweites Leben: Sie bekommen nicht nur die Chance, länger betrachtet zu werden, sondern werden auch zu Stellvertretern eines bewussteren Umgangs mit unserem visuellen Erbe. Über 50 Bücher sind mittlerweile auf diese Weise entstanden, nun gibt dieser Bildband einen hervorragenden Überblick über Kessels’ Arbeit. Denn neben allem Kuriosen und Absurden ist Kessels immer auch die reflektierende Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie wichtig, gerade in Zeiten der viel beschworenen digitalen Bilderflut. „Die Leute verbrauchen heute Fotografien“, so Kessels, „sie sehen sie nicht mehr an.“
Mehr als zwanzig Bildserien versammelt dieser Band, sie geben einen Einblick in die neuen Kontextualisierungen, die Kessels mit seinem Material erschafft. Mühelos und sehr unterhaltsam gelingt ihm dabei ein immer wieder überraschender Spagat zwischen theoretischer Medienreflexion und überbordender Bilderlust.
Ulrich Rüter
Alle Bilder aus The Many Lives of Erik Kessels (Aperture/Camera, 2017) www.aperture.org
Die Publikation erscheint in Verbindung mit einer umfangreichen Ausstellung in Italien: Camera – Centro Italiano per la Fotographia, Turin, 31. Mai bis 20. Juli 2017. Mit Erik Kessels & Friends präsentiert das NRW-Forum Düsseldorf vom 12. August bis 5. November die erste umfassende Retrospektive in Deutschland. Die Künstler Paul Kooiker, Joan Fontcuberta, Peter Piller, Joachim Schmid und Ruth van Beek sind eingeladen, mit eigenen Arbeiten in der Überblicksausstellung zu intervenieren.
Aus "in almost every picture #07". Jeder Schuss ein Treffer. Diese Serie zeigt das Leben einer holländischen Frau, die ihre Leidenschaft für Schießbuden auf dem jährlichen Jahrmarkt in ihrem Heimatort auslebte, dokumentiert aus der Perspektive automatischer Kameras. So entstand ab 1936 ein Lebens- und Bilderzyklus ganz eigener Art, der erst mit dem Tod der Dame endete
Aus der Serie "Album Beauty". Ein Beispiel der vielen Fundstücke aus privaten Fotografiealben, die von Kessels in neue Zusammenhänge und Serien gebracht werden
Aus der Installation "24 Hrs in Photos", FOAM, Amsterdam, 2011. Zur Visualisierung der ungeheuren Zahl von Bildern, die permanent ins Internet gestellt werden, hat Kessels einen einzigen Tag ausgewählt und alle 350.000 Bilder, die allein auf Flickr gepostet wurden, gedruckt und zu einem riesigen Bilderberg angehäuft
Aus der Installation "My Feet", f/stop International Photography Festival, Leipzig, 2014. Tausende von Aufnahmen, die beständig ins Internet gestellt werden. Auch wenn man nur die Füße der Personen sieht, sagen die Fotografien doch viel über Ort und Umstände aus, vor allem aber über die Art und Weise, wie heute Bilder geteilt werden
Aus der Installation "Unfinished Father", Fotografia Europea, Reggio Emilia, 2015. Das vielleicht persönlichste Projekt Kessels wird durch diese Ansicht präsentiert: Das Hobby von Kessels Vater war die Restaurierung von Topolinos (Fiat 500). Vier dieser legendären Kleinwagen hatte er bereits restauriert, der fünfte blieb nach dem Schlaganfall des Vaters unvollendet in der Werkstatt zurück